Der Doppler-Effekt

Cassini-Huygens-Mission droht im Fiasko zu enden:
Experten übersehen den Doppler-Effekt

Als am 15. Oktober 1997 in Cape Canaveral die Cassini-Huygens-Doppelsonde ins All geschossen wurde und ihre siebenjährige 20,7 Milliarden Kilometer lange Reise antrat, konnte noch niemand ahnen, dass ein simpler Berechnungsfehler das hoffnungsvolle und zukunftsträchtige Projekt buchstäblich wieder zum Absturz bringen könnte. Das Kernstück des Projektes, der Abstieg der Huygens-Sonde zum Saturnmond Titan, vorgesehen für den 6. November 2004, könnte alsbald in der Tat zur Farce werden, da das Datenmaterial, das der 2,7 Meter große und 320 Kilogramm schwere Lander während des Sinkfluges sammelt und sendet, vielleicht gar keinen Adressaten findet .

Schon die alten Römer haben es gewußt: Irren ist menschlich. Mag sein, dass manch Fauxpas uns in der Tat „menschlicher“ erscheinen läßt. Doch bisweilen können Irrtümer auch eine ausgesprochen peinliche Dimension annehmen. Vor allem dann, wenn gleich Dutzende von ausgewiesenen Experten ausgerechnet auf ihrem Fachgebiet just denselben Fehler begehen.
Kaum zu glauben, aber einen Lapsus der Extraklasse leistete sich die mit Spezialisten bespickte US-Raumfahrtbehörde NASA und ihr europäisches Pendant ESA. Obgleich hochqualifizierte Entwicklungsteams in den USA und 16 anderen Nationen 15 Jahre lang an der Cassini-Huygens-Mission arbeiteten, stellte sich kürzlich heraus, dass ihnen ein gravierender Fehler unterlaufen ist, der das amerikanisch-europäische 3,3 Milliarden Dollar schwere Gemeinschaftsprojekt mit dem Reiseziel Saturn und Titan stark ins Trudeln bringt. Verantwortlich für die derzeitigen Turbulenzen, die in ein gewaltiges Luftloch führen und ein Fiasko heraufbeschwören könnten, ist das Kommunikationssystem der europäischen Sonde 'Huygens', das nicht wie geplant funktionieren kann, weil auf unserem Kontinent und jenseits des großen Teichs schlichtweg eine physikalische Begebenheit überschlagen wurde, die bereits naturwissenschaftlich interessierte Schüler der Sekundarstufe 1 herunterbeten können: der Doppler-Effekt.

Die 300 Millionen Dollar (fast 700 Millionen Mark) teure und 343 Kilogramm schwere Huygens-Sonde ist der Hauptbeitrag der ESA zur Cassini-Mission, mit welcher der zweitgrößte Planet unseres Sonnensystems Saturn und dessen Monde erforscht werden sollen. Deutschland nimmt an der Cassini-Huygens-Mission über das ESA-Programm teil. Zwei der insgesamt 18 Instrumente stehen unter deutscher Federführung. Vorgesehen ist, dass der Huygens-Lander mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Stundenkilometern durch die dichte Atmosphäre des Mondes fliegt und auf dessen Oberfläche landet. Während des geplanten Manövers, das etwa 2,5 Stunden andauert, werden die von 'Huygens' gewonnenen Daten zum Cassini-Orbiter übertragen, der seinerseits wiederum die empfangenen Bit und Bytes gen Erde sendet.

Aber genau dies scheint momentan sehr fraglich, da das zur Datenübertragung dienende Relais eine zu geringe Bandbreite besitzt. Wenngleich die Sender an Bord von 'Huygens' und der Empfänger an Bord von 'Cassini' in ihren Frequenzbereichen exakt aufeinander abstimmt wurde, reicht die Bandbreite zur Datenübertragung nicht aus. Offenbar dachte keiner daran, dass der Cassini-Orbiter nicht still über der Huygens-Sonde harrt, sondern sich mit rund fünf Kilometern in der Sekunde von ihr entfernt.
Die Folge: Durch die Bewegung des Landers in Richtung Titan mit einer Geschwindigkeit von 5,6 Kilometer/Sekunde verschiebt sich das Frequenzband entsprechend. Es kommt zu einer Dopplerverschiebung. Wie die unterschiedlichen Töne, die ein der Betrachter und „Zuhörer“ bei einem sich nähernden und wieder entfernenden Zugs wahrnimmt, kommen die Funkwellen von 'Huygens' bei 'Cassini' völlig anders an, als sie abgeschickt wurden. Egal ob sich beide Sonden mit unterschiedlicher oder gleicher Geschwindigkeit aufeinander zu oder voneinander weg bewegen: Infolge der Frequenzverschiebung kann 'Cassini' nur einen kleinen Teil der Signale von 'Huygens' auffangen - gerade mal 10 Prozent. Der frequenzverschobene Rest verschwindet auf Nimmerwiedersehen ins kosmische Nirwana.

Derweil arbeiten die ESA-Ingenieure fieberhaft an einer Lösung des Problems. Ihre schon Anfang des Jahres durchgeführte Ferndiagnose an der Cassini-Huygens-Sonde, die zur Zeit am Planeten Jupiter Schwung holt, ist Anfang September an einem Ingenieursmodell beim Operationszentrum der Europäischen Raumfahrtorganisation ESOC in Darmstadt bestätigt worden. Nunmehr hat die Europäische Weltraumorganisation unter der Federführung von ESA-Generaldirektor Antonio Rodotà jetzt eine Untersuchungskommission mit der Feststellung beauftragt, weshalb die zu erwartenden Übermittlungsprobleme nicht schon vor dem Start vor drei Jahren entdeckt worden sind. Die Kommission soll sicherstellen, dass das Unternehmen in vollem Umfang verwirklicht werden kann und darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass künftige ESA-Missionen, die mit ähnlichen Geräten operieren, nicht demselben Fehler zum Opfer fallen.
Bis zum Sommer 2001 wird nun bei der NASA und bei der ESA nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, um einen lückenlosen Ablauf der Huygens-Mission zu gewährleisten. Die in Aussicht genommenen Alternativen dürften nach Erwartung der Experten indessen mehr Treibstoff kosten und das ohnehin komplizierte Programm noch schwieriger machen. Nach Informationen von zuständiger ESA-Seite könnte die Geschwindigkeit des Cassini-Mutterschiffs reduziert und dadurch der Empfang der Huygens-Signale verstärkt werden. Möglich wäre auch die Anhebung der Cassini-Umlaufhöhe. Schließlich ist es denkbar, die Cassini-Antenne ständig auf Huygens gerichtet zu halten, anstatt sie von Anfang an auf den Huygens-Landeplatz auszurichten. Bei der ESA ist man zuversichtlich, das Problem bewältigen und die erwartete Datenmenge sicherstellen zu können. Auf jeden Fall, so heißt es bei der ESA, werden die jetzt zu treffenden Maßnahmen von der Notwendigkeit voller Gewährleistung der einzigartigen Cassini-Huygens-Mission ausgehen.

Allerdings ist noch unklar, ob sich eine solche Änderung durchführen lässt, ohne wiederum die Mission der milliardenschweren Cassini-Sonde zu gefährden. Denn die gewinnt den nötigen Schub für ihre Saturnreise, indem sie die Schwerkraft der Himmelskörper nutzt, an denen sie vorbeifliegt. Ob ein langsamerer Vorbeiflug am letzten „Schwungrad“ Titan genügend Schub für die Fahrt zum Saturn bringt, muss noch berechnet werden. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Umprogrammierung der Huygens-Software. Auch hier ist allerdings offen, ob dies realisierbar ist.

Bislang jedenfalls hüllt man sich auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans in Schweigen. Intern jedoch herrscht Alarmstimmung, da 'Huygens' nicht die einzige ESA-Sonde ist, die mit dem fehlerhaft justierten und programmierten Kommunikationssystem bestückt ist. Hierzu zählen etwa der Mars-Express und die Rosetta-Mission zum Kometen Wirtanen, deren Start für das Jahr 2003 angedacht ist.

http://www.heise.de/tp/deutsch/special/raum/4137/1.html
Harald Zaun, 27.10.2000


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