Die Anfänge des sowjetischen Films
Eisenstein, der Macher (Biographie)
Die Entstehung des Films
Die Handlung
Historische Stimmigkeit
Reaktionen auf den Film
Inhalt


Von der Verstaatlichung der Filmproduktion Rußlands im August des Jahres 1919 bis zum Erscheinen der „ersten eigenständigen Versuche auf der Leinwand" (Freddy Bauche) dauerte es runde zwei bis drei Jahre.
Der Staat entdeckte das Medium Film erst spät als eine Möglichkeit, die Staatsethik in ästhetisch wertvoller Weise zu vermitteln. Dann aber durchlebte die Filmindustrie einen ungestümen Aufschwung, denn er erlangte durch die unbestreitbare Faszination, die er auf die Menge ausübte, und die fast unendlich verschiedenen Möglichkeiten des Ausdrucks das besondere Aufsehen der Regierung. Lenin meinte 1921, „der Film ist für uns die wichtigste aller Künste."

Nach der Oktoberrevolution erlebte die Avantgarde des Theaters einen kreativen Schub, die Filmproduktion verließ sich aber immer noch auf die herkömmlichen Klischees des 'künstlerischen Films' und auf die Verfilmung bekannter Werke der Weltliteratur. Nur langsam konnten sich die 'Studiengruppen' des 'exzentrischen Theaters' Anerkennung und Erfolg verdienen. Bald aber konnten sie die Unterstützung und die Aufgeschlossenheit der Regierung gewinnen. Kuleschow richtete mit Hilfe seines Stabes regelrechte Experimentierstudios ein und entwickelte dort die Montagetechnik. Den Gegenpol bildete Wertow, der mit seinem erfolgreichen Konzept „Kino-Wahrheit" und der Serie „Kino-Auge" quasi die Wochenschau erfand -ihm ging es nur um die Darstellung der Wirklichkeit. Beide, sowohl Kuleschow als auch Wertow, gelten als Pioniere des russischen Films. Zu seinen Klassikern zählt Eisenstein.


Sergej Michailowitsch Eisenstein wurde am 23.Januar 1898 in der lettischen Hauptstadt Riga geboren. Er studierte in Petersburg Architektur. Mit zwanzig Jahren kam er zur roten Armee, dort arbeitete er als Gebrauchsgraphiker. Nach der Entlassung aus der Armee fand er als Schüler des berühmten Regisseurs und Bühnenbildners Wsewolod Meyerhold Zugang zu den Lehren Freuds, insbesondere zu dessen Idee von der Psychoanalyse, und noch stärker zu denen Marx'; hier fand er Gefallen an der Weltvorstellung eines dialektischen Materialismus, so spiegelte seine Gesellschaftskritik oft Züge des Klassenkampfes à la Marx wieder.
Im Medium Film sah er eine Hoffnung auf Horizonterweiterung des Theaters.

1923 dreht er seinen ersten kleinen Film nach einem selbstgeschriebenen Drehbuch nach einem Theaterstück von Ostrowskij mit dem Titel „Ein braver Mann".
Im darauffolgenden arbeitete er an der russischen Version des „Doktor Mabuse" von Fritz Lang, noch im gleichen Jahr stellte er seinen ersten abendfüllenden Film „Der Streik" fertig. Nach dem „Panzerkreuzer Potemkin" (1925) drehte er „Oktober" (1928), der in Deutschland unter dem Titel „Zehn Tage, die die Welt erschütterten" erschien, darauf folgten 1929 „Die Generallinie" (in Deutschland: „Das Alte und das Neue"), 1932 „Que viva Mexico", der allerdings unvollendet blieb, genauso die „Beshin-Wiese" (1934). 1938 drehte er „Alexander Nevsky", 1945 und 1946 das Filmepaar „Iwan der Schreckliche I" und „Iwan der Schreckliche II", wobei der zweite Teil anfangs aus politischen Gründen verboten und erst 1958 in der Schweiz und im Zuge der Entstalinisierung gezeigt wurde; ein dritter Teil bleib ebenfalls unvollendet.

In seinen späteren Tonfilmen änderte Eisenstein sein Konzept; nicht mehr die Masse, sondern eine einzelne Figur bekommt die Rolle des Helden und wird in den Mittelpunkt des Filmes gestellt. Nicht mehr die Montagetechnik sondern die suggestive Ausdrucksstärke der Bilder und das schauspielerische Talent der Darsteller stellen den Reiz des Films dar.

Zwei Wochen nach den festlichen Feiern zu seinem 50. Geburtstag, am 9. Februar 1948, starb Eisenstein.


Ursprünglich erhielt der durch seine vorhergehenden Filme innerhalb der Branche anerkannte Eisenstein die Aufgabe, einen Monumentalfilm zum Gedenken der Geschehnisse von 1905 zu fertigen; gemeinte Ereignisse sind die aufrührerischen Reaktionen und der Ausbruch revolutionärer Tendenzen ausgelöst durch die erschütternde Niederlage der russischen Flotte im Krieg gegen Japan, aber eigentlich infolge der andauernden Unterdrückung durch das rückständige zaristische Regime.
Der Auftrag war Teil einer Entscheidung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion von 1925, die Produktion einer Reihe von Filmen zu unterstützen, mit denen der 20. Jahrestag der ersten russischen Revolution von 1905 gefeiert werden sollte. So ereilte u.a. Poduwkin die Anweisung, Maxim Gorkis Roman „Die Mutter" zu verfilmen, Wiskowski wurde mit der Verfilmung der blutigen Niederschlagung des Aufstandes vom 09. Januar des Revolutionsjahres 1905 vor dem petersburger Winterpalais unter dem Titel „Blutsonntag" betraut, man belegte ihn sogar ausdrücklich mit der Aufgabe, die Rolle des Popen Gapon besonders herauszuarbeiten.
Diese beiden Filme stellen sicherlich den Hauptinhalt des parteilichen Auftrages dar; dennoch wurden sie übertroffen von Eisensteins Meisterwerk „Panzerkreuzer Potemkin".

Dessen Drehbuch folgte einem Exposé von Nina Agadshanowa, die hierfür zahlreiche Dokumente, v.a. in den zaristischen Archiven studiert hatte. Der Film sollte den (vorbestimmten) Titel „Das Jahr 1905" tragen.

Tatsächlich begann Eisenstein - getreu den Vorgaben - mit den ersten Dreharbeiten in der Nähe von Leningrad. Allerdings mußte er dort die Dreharbeiten aufgrund des schlechten Wetters bald einstellen.

Eisenstein beschloß also - durch den unerwarteten Zwang zur Änderung des Drehplanes schon ein wenig in Eile - die Arbeiten bei Leningrad ans Ende der Produktion zu verlegen, oder zumindest bis zum Ende der Schlechtwetterphase aufzuheben. Statt dessen zog er die Dreharbeiten in einer sonnigeren Region, nämlich bei Odessa am Schwarzen Meer vor. Dort widmete er sich der tragischen Geschichte um die Geschehnisse auf dem Panzerkreuzer 'Potemkin'. Die historisch bedeutsamen Stätten in Odessa mußten auf Eisenstein einen ungeheuren Eindruck gemacht haben; denn der Filmemacher war von dem Ort und der Geschichte so begeistert, daß er die Ereignisse um die 'Potemkin', ursprünglich nur eine Episode des Filmes „Das Jahr 1905" bald zum ausschließlichen Thema des gesamten Filmes erhob und alle anderen Szenen einfach vergaß. Ob letztere Entscheidung nur wegen der beeindruckenden Wirkung der Potemkin-Affäre oder auch wegen dem immer wachsenden Zeitdruck, der auf Eisenstein lastete, getroffen wurde, ist unklar.

Eisenstein hatte entschieden, den Panzerkreuzer Potemkin zum Thema seines Werkes zu machen; er blühte in der Arbeit um seine Idee auf, studierte eifrig die Skizzen eines Künstlers, der das Blutbad von Odessa überlebt hatte, besichtigte mehrmals die monumentale Richelie-Treppe, die direkt zum Meer führte und auf der dieses Massaker seinen grausamen Verlauf nahm, interviewte Zeugen und Überlebende.

Bald hatte er den Film „Das Jahr 1905" in seinen Film vom „Panzerkreuzer Potemkin" mit folgender neuer Handlung umgestaltet:


Der Morgen des 27. Juni 1905 stellt den Beginn der Revolte der Soldaten der 'Potemkin' dar. Diese richtet sich gegen die menschenunwürdige Behandlung, die ihnen die vorgesetzten Offiziere zukommen lassen. Der Versuch, die Soldaten zu zwingen, verdorbenes Fleisch zu essen, löst schließlich die offene Meuterei aus.

Der Kommandant und seine Offiziere reagieren, indem sie den Befehl erteilen, die Meuterer zu erschießen. Aber das Exekutionskommando weigert sich, den Befehl auszuführen, worauf ein brutaler und erbitterter Kampf zwischen der meuternden Besatzung und dem Führungsstab des Schiffes losbricht. Aufgrund zahlenmäßiger und auch waffentechnischer (denn die Meuterer konnten die Waffenkammer in ihre Hand bekommen) Überlegenheit gewinnt die Besatzung den Kampf; die Offiziere werden über Bord geworfen.

Die Meuterer, oder dem Zeitgeist entsprechender: die Revolutionäre müssen jedoch den Verlust ihres Anführers Wakulintschuk hinnehmen; er wurde meuchlings von einem Offizier ermordet.
Seine Leiche wird von den Kameraden nach Odessa gebracht und dort auf der Mole aufgebahrt.

Die Nachricht von der Meuterei verbreitet sich unter der Einwohnerschaft von Odessa gleich einem Lauffeuer; die revolutionäre Aktion findet auf dem Nährboden der Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Niederlage gegen Japan eine euphorische Sympathie für die Sache der Matrosen. Die Menschen strömen in den Hafen von Odessa, um vor der Leiche Wakulintschuks zu demonstrieren, um die Besatzung der 'Potemkin' mit Lebensmittel zu versorgen, oder einfach nur, um jenen durch die bloße Anwesenheit Unterstützung zu gewähren und die gemeinsamen revolutionäre Ziele zu bekennen. Sie versammeln sich auf der monumentalen Hafentreppe, die direkt zum Meer hinunter führt.

Diese Treppe wird Schauplatz des grausamen Gegenschlags des Zaren-Regimes: Zaristische Kosaken feuern vom Kopf der Treppe hinabschreitend Gewehrschüsse in die Menge unterhalb. Ein mörderisches Gemetzel beginnt, welches Eisenstein in der ganzen Grausamkeit im Film über eine Zeit von sechs Minuten beschreibt.

Zwar erreichen die Matrosen der 'Potemkin' durch ein paar Salven aus den Bordkanonen des Schiffes ein vorläufiges Ende des Massakers. Aber da wird die 'Potemkin' selbst schon durch die von Sewastopol herannahende Schwarzmeerflotte bedroht.

'Georg der Eroberer', eines der Schiffe aus dem zur Züchtigung des Rebellenschiffes losgesandten Einheiten, schließt so nahe an den Panzerkreuzer 'Potemkin' auf, daß die beiden Schiffe Bord an Bord aneinander vorbei driften. Allerdings wird vom anderen Schiff keine einzige Kanone abgefeuert -im Gegenteil: die Besatzung des Panzerkreuzers 'Georg der Eroberer' jubelt den Matrosen des Panzerkreuzers 'Potemkin' begeistert zu, kurz darauf schließt sich das Schiff dem Rebellenschiff sogar an.

Die 'Potemkin' entkommt der Flotte und fährt nach Constanza.

Anmerkung: Diese Handlung entspricht nicht immer genau den historischen Tatsachen, so manches Mal gibt sie die Tatsachen verzerrt oder gar bewußt falsch wieder.

 


Die Beurteilung der historischen Stimmigkeit unterliegt einer gewissen Problematik, nämlich der fehlender und der widersprüchlicher Angaben.
Wir zitieren hierzu Richard Hough, der ebenfalls ein Werk, allerdings ein literarisches (siehe Quellen / weiterführende Literatur) zur Thematik erarbeitet hat und sich im Vorwort zur Übereinstimmung mit den tatsächlichen Ereignissen rechtfertigt:
„Ein krasses Beispiel: der offizielle Bericht von damals erwähnt nichts von der Sache mit der Persenning. Die Offiziere haben stets bestritten, daß nur die Spur einer Drohung bestanden habe, die führenden Meuterer zu erschießen, während die Matrosen wie auch die offiziellen sowjetischen Darstellungen mit allem Nachdruck behaupten, daß man die Leute mit einer Persenning zugedeckt habe..."

Was aber nicht in der Grauzone der Fähigkeiten der Quellenforschung liegt - und darüber sind sich die gelesenen Autoren einig - ist die Tatsache, daß das Ende des Films nicht mit der Tatsachengeschichte übereinstimmt: Das Happy End, wie wir es aus dem Film kennen, gab es in Wirklichkeit nicht. Sondern eine Verhaftung der Matrosen und deren Überführung an die zaristischen Behörden anstelle des kameradschaftlichen Passierenlassens der 'Potemkin' durch die 'Georg der Eroberer'.

Aber schon zuvor, genauer: bei der Treppenszene zeigt sich eine historische Unstimmigkeit: Tatsächlich dauerte das Massaker mehrere Tage und war auf verschieden Orte innerhalb der Stadt Odessa verteilt. In Eisensteins Film dagegen konzentriert sich die blutige Tat dagegen nur auf den Hafenbereich und ist auch schon nach (vergleichsweise, denn diese Treppenszene füllt  mehr als sechs Minuten !) kurzer Zeit wieder beendet.

Eisenstein berichtet weder am Schluß noch an anderen Stellen des Filmes dokumentarisch genau. Aber das eröffnete ihm die Möglichkeit, in der Darstellung der Geschichte des Panzerkreuzers 'Potemkin' das revolutionäre Bewußtsein des ganzen Rußland einzufangen.


Die Reaktionen auf Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin" waren so verschieden wie nur selten zuvor; zwischen den beiden Extremen Verbot und stürmische Begeisterung gab es alle denkbaren Schattierungen:

So beschreibt zum Beispiel der Macher Eisenstein in seiner Autobiographie seine Angst vor einer Panne bei der Uraufführung (denn die Schnitte des letzten teils des Films waren nur mit Speichel zusammengeklebt), darauf folgt aber direkt die Schilderung von einem so begeisterten Publikum und einer so anziehenden Wirkung des Films auf den Zuschauer, daß sogar die Feuerwehrleute, die das Kino bewachen sollten, sich in den Vorführsaal geschlichen hatten.
Als die rote Flagge der Revolution gehißt wird, bricht das Publikum in Schreie leidenschaftlicher Begeisterung aus. -Diese Flagge wurde in den ersten Kopien noch von Hand koloriert und erschien als einziger Farbklecks in dem ansonsten völlig schwarzweißen Film.

Im „Berliner Börsencourier" bezeichnete 1926 Herbert Ihering den Film als „zweites Nibelungenlied"; doch das „neue Nibelungenlied" wurde bald von der Zensur verstümmelt, der Reichswehrminister verbot allen Soldaten den Besuch einer Vorstellung des Films.

Eine verwunderliche und geradezu schizophrene Reaktion zeigte Propagandaminister Josef Göbbels: Einerseits ließ er den Film wegen seiner revolutionären Tendenzen verbieten, andererseits war er ein euphorischer Bewunderer der eisensteinschen Filmkunst; er verlangte von seinen Regisseuren, ihm einen „deutschen Potemkin" zu drehen.

Die Reaktionen in Deutschland sind aber nur exemplarisch zu werten: in mehreren europäischen Ländern unterlag der Film dem Rotstift und der Schere der Zensur, Kürzungen steigerten sich bis hin zur Unkenntlichmachung, manchmal wurde er generell verboten.


Inhalt